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Abstrakte Virtualität
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Abstrakte Virtualität

Dr. med. Ursula Davatz, Zürich

Jürg Da Vaz zählt zu den abstrakten, nonfigurativen Künstlern. Er lässt sich jedoch nicht einreihen bei irgend einer der bekannten Schulen. Sein Stil ist eigenwillig und neu.

Will man die Bilder respektive den Stil der Bilder dennoch an einen bekannten Erlebnisbereich im konkreten visuellen Raum anbinden, so kommen einem am ehesten Bilder aus der Welt des organischen Wachstums in den Sinn. Es gibt darin keinen klaren Anfang und kein klares Ende einer Struktur, und dennoch wirkt das Ganze "schön", ausgewogen und gleichzeitig dynamisch, niemals maschinell regelmässig, selbst wenn Serienstrukturen auftreten. Das Gleiche kann man von den Bildern von Da Vaz sagen. Sie enthalten alle eine Dynamik und haben dennoch Struktur, die für das Auge wohltuend ist.

Versuchen wir seine Bilder vom Erlebnis her zu beschreiben, so könnte man sagen, er dringt in eine neue Welt der Imagination von Farben und Formen ein, die unbegrenzt ist in ihren Möglichkeiten. Begrenzt wird diese Realität einzig durch die Grösse des Blattes und durch unser Sehvermögen.

Kein Künstler ist jedoch aus dem Nichts geboren. Auch Da Vaz hat seine Vorbilder gehabt. Dazu gehören z.b. Klee, Kandinsky, Mondrian, Tobbey aus der Reihe der abstrakten Künstler, Dali, Magritte, Tanguy und Escher aus der Reihe der Surrealisten, Pieter Bruegel und Hieronimus Bosch aus der Reihe der Humoristen. Bei Klee hat ihn die Sensibilität der reinen Farbenskala fasziniert, bei Kandinsky die losgelöste Figürlichkeit im freien Raum. Die Surrealisten haben ihn vor allen Dingen durch ihre räumliche Verzerrung bis hin zur optischen Täuschung beeindruckt. Vasarély war für ihn bahnbrechend in Bezug auf die Konstruktion einer abstrakten Räumlichtkeit mittels geometrischer Serienbildung. Analysiert man die Bilder von Da Vaz unter diesen verschiedenen Teilaspekten seiner künstlerischen Vorbilder, so lässt sich feststellen, dass viele davon tatsächlich, auf eigenartige Weise verbunden, in seinen Werken vorhanden sind. Was dabei aber besonders ins Auge springt, ist, dass all seine Werke von einer unendlichen Phantasie und Spielfreudigkeit gekennzeichnet sind.

Die Welt als innere Entdeckung

Diese grosse Variationsbreite von Farben und nicht gegenständlichen Formen hat eine unglaublich befreiende Wirkung. Diese Befreiung von allen hergebrachten Vorstellungen kann aber auch etwas Beängstigendes haben für den an die Begrifflichkeit der Dinge gewohnten Betrachter. So wenden diese sich häufig an den Künstler mit der Frage, was er mit dem Bild auszudrücken versucht habe. Er weist dann meist zurück auf seine Bilder, welche seine Aussage enthalten. Eine Aussage, die nicht in Sprache gefasst werden kann. Sonst hätte Jürg Da Vaz Gedichte geschrieben oder Romane. Er hat aber bewusst die abstrakte Farben- und Formenwelt gewählt, um sich auszudrücken, da sie ihm mehr Raum zur Freiheit lässt. Der Betrachter jedoch ist dies nicht gewohnt vom Alltag her. Nun soll er plötzlich seiner Phantasie freien Lauf lassen?! Vielleicht gar sich selbst bloss stellen durch diese eigene Phantasie? Sich selbst einen Einblick in sein eigenes Innere gewähren?! Er könnte dabei herausfinden, wer er ist und was er in seinem Innersten denkt und fühlt, eine Art Rorschach-Test ....

Werdegang der Arbeit

Da Vaz hat seine eigenen Werke immer wieder verwendet und verwandelt. Ein Evolutionsprozess, der vergleichbar ist mit der Evolution der Natur, die ebenfalls frühe Strukturen wie zum Beispiel Einzeller über Jahrmillionen hin "weiterverwendet" hat als Zellorganellen innerhalb der Zelle von Mehrzellorganismen. Ein "recycling" im wahrsten Sinne des Wortes, sowohl in der Evolution der Natur als auch in der Evolution von Da Vaz. Interessant dabei ist, dass alle Formenelemente, die er viel früher schon von Hand gezeichnet hat, in den neueren Bildern, die mittels Computer umgestaltet sind, wieder auftreten, als hätte er seine jetzige Phase schon damals vorausgeahnt und von langer Hand geplant für den späteren Umbau. Er bleibt sich in seiner Art der Formgebung, auch wenn sich diese stark verändert und entwickelt hat, doch immer treu. Ein Zeichen der innern Kohärenz und Ganzheitlichkeit seines künstlerischen Schaffens, ein Qualitätszeichen.

Zu den Titeln

Nach jahrzehntelanger Abstinenz und vehementem Widerstand gegen jegliches Intellektualisieren seiner Arbeit ist Da Vaz dazu übergegangen, seine Werke zu betiteln. Was ihn wohl dazu veranlasst haben mag, diese für ihn einmalige Wendung

zu vollziehen? Spass, Humor - wie er meint - ist, wenn man trotzdem lacht. Das analytische Erfassen von Bildinhalten sei eine Vorliebe des Betrachters, fährt er fort und fügt hinzu: "Was so vielen gefällt, kann ja auch mir Freude machen." Bilder könne man nicht illustrieren, wenn schon, dann müsse man sie interpretieren. Aber das wiederum sei ein "ganz neues Ballspiel". Die Titel, so deutet er an, hätten mit der Entstehung seiner Bilder herzlich wenig zu tun. Sie seien ein eigener kreativer Akt des Betrachters. Das Wort, die Titelgebung, die Idee vor den Anfang der Arbeit zu stellen, sei für ihn, wie wenn man das Pferd am Schwanz aufzäumen würde. Was für den Betrachter am Anfang steht, findet für Da Vaz am Ende statt. Aus dem Schatzkästlein seiner Erfahrungen füge er die Titel den Bildern bei im Nachhinein, quasi als Brücke über den Fluss der allgemeinen Verunsicherung.

Farbskala und Formenbau

Die Farbskala von Da Vaz war schon immer und ist immer noch durchwegs positiv, intensiv und vorwärts gerichtet. Die Bilder strahlen einen farblichen Optimismus aus, der sich auf den Gefühlszustand des Betrachters auswirkt.

Der Formenbau der Bilder ist durch und durch kraftvoll. Die entwicklungsbezogene Komponente im Aufbau und im Prozess der Gestaltung sind die treibende Kraft des Entwurfs. Die Linie bezeichnet die ideelle Erfassung des bildnerischen Konzeptes. Die ungeahnte Wirkung einer ganz und gar prozessorientierten Strukturentwicklung und einer expressionistischen Farbskala tragen eine enorme Schubkraft in sich.

Optimistische Aussagen sind in der heutigen Zeit eher selten. Umso stärker treffen uns deshalb die bildlichen Aussagen von Da Vaz. Sie künden eine neue Epoche an. Es ist, als ob man sich der Aufbruchstimmung erinnere, die Europa verloren gegangen ist, die uns die vergangenen Jahrzehnte verschüttet haben.

Beim Betrachten seiner Bilder bekommt man den Eindruck, die Rückkehr zur Zukunft sei angesagt. Die Bilder von Da Vaz erlauben dem Betrachter einen Einblick, einen Einstieg in eine neue Welt der Freiheit, des unbeschränkten Formenreichtums, der unbeschränkten Phantasie. Der daraus resultierende Zustand der "Schwerelosigkeit", der multidimensionalen Durchsicht in der Unbegreiflichtkeit der Dinge, eröffnet ungewöhnliche Erfahrungen für den Betrachter.

Zürich, im März 1996
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